Morgens und abends ein Gebet und viel Arbeit

Schreinermeister Heinrich Schäfer erklärt der KH-Spitze, wie man 100 Jahre alt wird

Bruchköbel – Wie wird man eigentlich 100 Jahre alt? Das war die Frage, die der Bruchköbeler Schreinermeister Heinrich Schäfer anlässlich seines runden Geburtstags am häufigsten beantworten musste. „Ganz einfach“, so das Rezept des noch immer rüstigen Jubilars: „Ich spreche am Abend und am Morgen ein Gebet.“ Und was ihn auch jung gehalten habe, sei die Arbeit, berichtete Schäfer der großen Schar von Gratulanten, die ihm an seinem Ehrentag in Oberissigheim die Aufwartung machte. Dazu zählte auch eine große Delegation der Kreishandwerkerschaft Hanau, zu der Kreishandwerksmeister Martin Gutmann, KH-Geschäftsführerin Nicole Laupus sowie Stefan Hötzel und Uwe Beckmann aus dem Vorstand der Schreiner-Innung gehörten. Diesem Vorstand gehörte Schäfer ebenfalls mehr als 30 Jahre an. Denn Schreiner ist Heinrich Schäfer nach wie vor mit Herz und Seele.

Den Fachleuten berichtete er an seinem Geburtstag noch einmal detailliert, wie er im Krieg den Umgang mit wasserfestem Leim erlernte und diese Technik auch später in seinem Betrieb beim Einsetzen von Fenstern für sich zu nutzen wusste. Mit Kreishandwerksmeister Martin Gutmann, der als Glasmeister ebenfalls etwas von Fenstern versteht, fand er dabei einen interessierten Zuhörer.

Arbeit habe er zeit seines Lebens immer genug gehabt, sagte Schäfer. Und besonders stolz ist er darauf, dass es in all den Jahren, im Sommer wird sein Betrieb 75 Jahre alt, nicht eine einzige Reklamation gegeben habe. Sein Betrieb bestand nur aus ihm, seiner jetzt 94 Jahre alten Frau Gerda, die neben der Büroarbeit auch in der Werkstatt aushalf, sowie den beiden Söhnen Horst und Günter. Die Kinder hat er selbst ausgebildet, sie gingen 1973 und 1976 mit in die Firma und bildeten einen klassischen Familienbetrieb ohne fremde Mitarbeiter.

Seine Ausbildung hatte Heinrich Schäfer 1938 als 15-Jähriger gegen den Willen seines Vaters, der ihn lieber in der Landwirtschaft gesehen hätte, bei der Schreinerei Fliedner in Bruchköbel begonnen. Der Einstieg in den Beruf war für ihn nicht so einfach: Der Meister wollte ihn eigentlich nicht nehmen, weil er mit einem anderen Oberissigheimer zuvor schlechte Erfahrung gemacht hatte. Und auch das erste Lehrjahr war für den Knirps nicht das sprichwörtliche Herrenjahr. Statt dem geliebten Hobel musste er fast ausschließlich den Griff des Handkarren in die Hand nehmen, mit dem er die von den Kollegen fabrizierten Türen und Schränke zu Fuß auslieferte. Mitunter bis nach Großkrotzenburg. Der junge Stift nahm es mit Geduld und übte sich als aufmerksamer Beobachter. „Man lernte ja mit den Augen.“

Seine Position im Betrieb änderte sich jedoch schlagartig, als sein Meister eher durch einen Zufall ein Aktenschränkchen zu Gesicht bekam, das Schäfer nach Feierabend gebaut hatte. „Er sagte voller Bewunderung: Junge, das hast du doch nicht allein gebaut“, erinnert sich Schäfer schmunzelnd. Doch, das hatte er. Von da an bekam er Verantwortung und die für damalige Verhältnisse moderne große Werkstatt einen neuen Lehrling, der Schäfers Transportdienste übernehmen musste. Der talentierte Handwerker baute fortan für die gehobene Hanauer Stadtgesellschaft komplette Schlafzimmer zusammen. Seine Lehrzeit wurde von dreieinhalb auf drei Jahre verkürzt, die Prüfungen bestand er allesamt mit der Note „sehr gut“.

Zum Abschluss seiner Ausbildung war Deutschland bereits zwei Jahre im Krieg. Statt in der Bruchköbeler Werkstatt musste Schäfer seinen Dienst in den Gerhard-Fieseler-Werken in Kassel verrichten, wo für die Luftwaffe der sogenannte Fieseler Storch gebaut wurde, ein Propeller-Flugzeug, für das sein hochbeiniges, starres Fahrgestell charakteristisch war und das von der deutschen Luftwaffe vor allem als Verbindungs- und Sanitätsflugzeug eingesetzt wurde. Aus handwerklicher Sicht kam dem Schreiner die Kasseler Zeit in den Fieseler-Werken zugute. Innerhalb von drei Monaten schulten die Nazis, die der gläubige Christ verabscheute, ihn zum Schlosser. Zudem lernte er den Umgang mit dem besagten wasserfestem Leim und andere Verfahren kennen, die ihm später noch von Nutzen sein sollten.

Der Krieg führte ihn unter anderem in die Niederlande, nach Frankreich, Italien und Nordafrika, wo er schließlich schwer verwundet in Gefangenschaft geriet. Nach seiner Rückkehr aus Amerika, wo er auf den Baumwollfeldern arbeiten musste, machte er sich in Oberissigheim selbstständig und gründete 1948 nach der Währungsreform seine eigene Firma. Er überwand alle bürokratischen Hindernisse und begann 1949 mit dem Bau einer Werkstatt auf einem geerbten Acker.

Heinrich Schäfer blickt dankbar auf ein reiches Leben zurück. Er war und ist immer noch eine starke Persönlichkeit, mit Mut zur Initiative und Risikobereitschaft, er konnte sich durchsetzen und seine eigenen Ideen verwirklichen. Er sagte immer: „Ich habe den Krieg überlebt, was soll mir jetzt noch Schlimmes passieren?“ So ist er stets ein großer Optimist gewesen. Bis zum 98. Lebensjahr ist er Auto gefahren, die letzten beiden Jahre in einem Elektrowagen. Und auch heute noch geht er, wenn immer sich die Gelegenheit bietet, in seine Werkstatt.

(von links) Kreishandwerksmeister Martin Gutmann, Heinrich Schäfer, KH-Geschäftsführerin Nicole Laupus, stv. Obermeister Uwe Beckmann und Obermeister Stefan Hötzel