In 75 Jahren nicht eine einzige Reklamation

Schreinerei Schäfer in Oberissigheim wird 75 Jahre – Doch am Ende des Jahres ist Schluss

Bruchköbel – Dass ein Handwerksunternehmen 75 Jahre alt wird, ist nicht unbedingt eine Seltenheit. Dass der Gründer jedoch selbst noch auf das Jubiläum in der Firma anstößt, das kommt freilich nicht sehr oft vor. Und somit war es jetzt eine besondere Feier in der Schreiner-Werkstatt der Firma Schäfer in Oberissigheim. Denn Heinrich Schäfer, ist im Januar dieses Jahres 100 Jahre alt geworden, konnte aus eigener Erinnerung erzählen, wie er 1948 aus dem Nichts heraus sein eigenes Unternehmen aufgebaut hat, das heute von seinen beiden Söhnen geführt wird. Weil Horst und Günter Schäfer jedoch auch schon das Rentenalter erreicht haben, wird der Betrieb wohl gegen Ende dieses Jahres in Oberissigheim eingestellt werden.

Eine Feierstunde zum Jubiläum gab es im Rahmen des klassischen Innungsstammtischs, der in der Tischlerinnung unter dem Dach der Kreishandwerkerschaft Hanau in aller Regelmäßigkeit stattfindet und jetzt aus Anlass des Jubiläums in der Werkstatt der Firma Schäfer abgehalten wurde. Für Heinrich Schäfer und seine beiden Söhne war dies ein willkommener Rahmen, denn unter ihres gleichen haben sich die Schäfers schon immer am wohlsten gefühlt. Die Familie Schäfer ist eine Schreiners-Dynastie. Schon der Ururgroßvater, der Urgroßvater und der Großvater von Heinrich Schäfer waren Tischler. Beim Großvater hat der Seniorchef auch die ersten Griffe und handwerklichen Fertigkeiten gelernt.

Das Unternehmen startete am 1. Juli 1948 in der Hintergasse 7 in Oberissigheim in der kleinen Werkstatt des Großvaters von Heinrich Schäfer. 1949 baute Heinrich Schäfer das 1. Stück Werkstatt in der Feldbergstraße 9, die nach der Gemeindereform im Jahr 1973 zur Seebergstraße wurde. Im Juni 1953 legte Heinrich Schäfer die Meisterprüfung ab und trat in die Tischler-Innung ein.

Der Obermeister der Tischler-Innung Hanau, Stefan Hötzel, sowie Kreishandwerksmeister Martin Gutmann betonten in ihren Reden vor allem die Verbundenheit der Schäfers sowohl mit Innung als auch mit der Kreishandwerkerschaft. Heinrich Schäfer war nicht nur zahlendes, sondern auch ein aktives Mitglied. Von 1964 bis 1990 war er der Schriftführer der Innung und gehörte lange Zeit dem Kassenprüfungsausschuss an. Bereits 1998 bekam er den Titel des Altmeisters verliehen, 2003 wurde ihm zum 50-Jährigen die Urkunde zum Goldenen Meistertitel überreicht. „Ich bin immer gerne in der Innung gewesen“, bekannte der Seniorchef, denn im Austausch mit den Kollegen habe er sich immer auf dem aktuellen Stand der Zunft gehalten.

Besonders stolz sind die Schäfers darauf, dass es seit dem ersten Tag bis heute nicht eine einzige Reklamation von Kunden gegeben habe. Qualität wurde in Oberissigheim immer großgeschrieben. Heinrich Schäfer gab den anwesenden Gratulanten dann auch ein Geheimnis preis: Das Wichtigste bei der Verarbeitung von Holz sei, so der Altmeister, dass das Material lange genug gelagert werde und trocken sei. Und wer sich in seiner Werkstatt, die über die Jahrzehnte immer erweitert wurde, genauer umsieht, dem fallen die vielen Eisenregale an den Wänden auf, auf denen das Holz bis zu seiner Reife gelagert wurde. Kiefernholz, so der Meister, durfte in der Firma erst verwendet werden, wenn die Feuchtigkeit bei nur noch acht Prozent lag, bei Edelhölzern durften es auch 12 sein, berichtete er schmunzelnd.

Heinrich Schäfers Lebensgeschichte wäre der Stoff für ein Buch, vielleicht sogar für eine Verfilmung. Anlässlich seines 100. Geburtstags musste er sie wieder sehr oft erzählen, die Geschichte vom 15-jährigen Knaben, der in den 30ern als Stift beim Bruchköbeler Schreinerunternehmen Fliedner zunächst nur Ware ausfahren darf. Erst als er heimlich sein erstes Aktenschränkchen zusammenbaut und dem Meister präsentiert, erkennt man das Potenzial des jungen Mannes, der fortan, für die gehobene Hanauer Gesellschaft Möbel baut. Der Krieg führt ihn zwangsweise in die Flugzeugindustrie, wo er den Umgang mit Metall und wasserfestem Leim lernt – Fertigkeiten, die ihm später im Berufsleben noch von großer Hilfe sein werden. Schäfer wird eingezogen, kämpft an mehreren Fronten und wird bei einer sinnlosen Offensive anlässlich Hitlers Geburtstag am 20. April 1943 bei Tunis schwer verwundet, kommt dort in Gefangenschaft und wird als Kriegsgefangener (PoW) in die USA gebracht, wo er wieder als Schreiner arbeitet, ehe er nach drei Jahren nach Oberissigheim zurückkehren darf. In der Runde erzählt Schäfer auch die Anekdote, dass er nach der Währungsreform das Kopfgeld der gesamten Familie, also für Vater, Geschwister und ihn selbst, in Holz investierte. Das waren 280 DM. Ein Risiko, das sich im Nachhinein bezahlt gemacht hat, berichtet er.

An seiner Werkstatt lässt sich auch die Entwicklung ablesen, die der Betrieb seit seiner Gründung genommen hat. Stück für Stück hat der Oberissgheimer sein Reich erweitert. Heute befindet sich darin ein immenser Maschinenpark, der nur von ihm selbst und seinen beiden Söhnen Horst und Günter bedient worden ist. In der 80er/90er Jahren wurden zeitweilig vier Gesellen beschäftigt. Heinrich Schäfer hat während seiner Selbständigkeit ausschließlich seine beiden Söhne Horst und Günter ausgebildet; beide wurden in ihren Jahrgängen Innungssieger. Die Firma sind er selbst, seine Söhne sowie seine Frau Gerda, die nicht nur die Bücher geführt, sondern auch beim Leimen und Kitten der Fenster geholfen hat.

Sichtlich beeindruckt vom Lebenswerk des Oberissigheimers zeigte sich auch Joachim Wagner, der Vizepräsident der Handwerkskammer Wiesbaden. „Ich möchte Ihnen und auch Ihren Söhnen zu alldem gratulieren“, sagte der Wagner. Er nannte Heinrich Schäfer ein großes Vorbild. Er habe alle Herausforderungen gemeistert, vor die er durch die Zeit gestellt worden sei. „Sie haben sich zeitlebens neuen Dingen geöffnet“, so der Vizepräsident. Kreishandwerksmeister Martin Gutmann würdigte zudem, dass sich Schäfer auch noch kommunalpolitisch engagiert habe. Er ist seit fast 60 Jahren Mitglied der CDU und war in der Zeit zwischen 1974 und 1978 Mitglied des Magistrats in Bruchköbel. „Wir brauchen viel mehr Handwerker, die sich politisch einbringen“, richtete Gutmann zugleich einen Aufruf an kommende Generationen.

Heinrich Schäfer (Bildmitte) und sein Sohn Horst (Fünfter von links) nehmen die Glückwünsche von Kreishandwerksmeister Martin Gutmann (Vierter von links), dem Vizepräsidenten der Handwerkskammer Wiesbaden, Joachim Wagner (Sechster von rechts), Obermeister Stefan Hötzel (Fünfter von rechts) sowie den Schreinerkollegen der Tischlerinnung entgegen.